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PMS 17/19 v. 26.04.2019

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Gesine Schwan beim Paritätischen: "Europa braucht wieder mehr Solidarität"

Gemeinsam für ein soziales und gerechtes Europa (von links): Jutta Kremer, Staatssekretärin im niedersächsischen Europaministerium, Hauptrednerin Prof. Dr. Gesine Schwan und Birgit Eckhardt, Vorsitzende des Paritäischen Wohlfahrtsverbands Niedersachsen e.V.

Lang anhaltender Beifall für eine furiose Tour de Force: Gesine Schwan – Politikwissenschaftlerin, SPD-Urgestein, ehemalige Präsidentschaftskandidatin – sprach beim Fachtag „Europa – gerecht, sozial, erfolgreich“ des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Niedersachsen e.V. über die Stärken und Schwächen der Europäischen Union. Sie geißelte die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten dafür, dass sie bei der Migrationspolitik ständig gegen die eigenen Werte verstoßen, und forderte mehr Zusammenhalt innerhalb der Union. „Gelingt es uns, mehr Solidarität zwischen den einzelnen Staaten herzustellen, dann haben die Bürgerinnen und Bürger auch wieder mehr Freude an Europa.“

Mit der öffentlichen Tagung, die durch die GlücksSpirale gefördert wurde, stimmte der Paritätische die 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Hannover Congress Centrum auf die Europawahl am 26. Mai ein. Hauptrednerin Schwan kritisierte die in den Mitgliedsstaaten regierenden Politikerinnen und Politiker, sie würden die Entwicklung der Union blockieren, nur auf ihre nationale Agenda achten: „Sie versündigen sich an der Europäischen Idee.“ Anders sei die Bevölkerung einzuschätzen: „Wir müssen die Dynamik der Gesellschaft unterscheiden von dem, was die Regierungen machen. Auch wenn die Menschen die Regierungen gewählt haben – sie sind gedanklich oft viel weiter und Europa gegenüber positiver eingestellt als die Politik.“ Eine deutliche Aufforderung richtete die 75-Jährige an die anwesenden Schülerinnen und Schüler einer hannoverschen Schule: „Engagiert Euch! Macht Europa zu einem Ort, an dem sich gut leben lässt!“

Birgit Eckhardt, die Landesvorsitzende des Paritätischen, hatte in ihrer Eingangsrede vehement für eine sozialere Ausrichtung der Europäischen Union geworben: „Ich bin fest davon überzeugt, dass das Modell der Europäischen Union nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Bürgerinnen und Bürger überzeugt davon sind, in einer sozialen und gerechten Gesellschaft zu leben.“ Demografischer Wandel, Migration, soziale Standards, die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Wohlstands – all diese Themen könne Deutschland nicht allein bearbeiten. Nur gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedern sei eine nachhaltige, zukunftsgerichtete Politik möglich. Und diese Politik müsse eben vor allem sozial, am Wohl der Menschen ausgerichtet sein – nicht allein am Wohl der Wirtschaft. Einen Wahlaufruf hatte sie auch parat – schließlich hätten alle Bürgerinnen und Bürger Europa viel zu verdanken und müssten die Union gegen extremistische Tendenzen verteidigen: „Jede nicht abgegebene Stimme spielt den Populisten in die Hände.“

Wie eine soziale europäische Gesellschaft aussehen könnte, darüber sprachen auch die anderen Rednerinnen und Redner. Jutta Kremer, Staatssekretärin im niedersächsischen Europaministerium, brachte eine europäische Sozialversicherung ins Spiel und forderte die Anwesenden zum Einmischen bei sozialen Fragen auf: „Die Grundrechtecharta der EU ist in Gefahr. Einen Rückzug ins Private kann es da nicht geben.“ Als Positivbeispiel für eine konstruktive Protestkultur nannte sie die „Fridays for Future“-Streiks von Schülerinnen und Schülern. „Die Politik muss diesen Protest nun endlich auch ernst nehmen.“ Ulla Klapproth, Vorsitzende des Verbandsrats des Paritätischen, betonte die historische Dimension der Europäischen Union: „Die EU mit all ihren positiven Errungenschaften ist das anti-militaristische Kontrastprogramm zu den Jahrhunderten gewalttätiger Auseinandersetzungen auf diesem Kontinent, die Abermillionen Menschen das Leben gekostet und tiefe Narben hinterlassen haben.“

Krzysztof Balon, Referent des Paritätischen und Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, stellte die Forderungen des Paritätischen an das neu zu wählende EU-Parlament vor. In den Mittelpunkt stellte er die sogenannte Europäische Säule sozialer Rechte – von der EU-Kommission als Kernprogramm einer Sozialunion vorgestellt, von den Regierungen der meisten Mitgliedsstaaten skeptisch betrachtet. Darüber diskutierten Kandidatinnen und Kandidaten zur Europawahl: Julius Graack (FDP), Nils Hindersmann (SPD), Katrin Langensiepen (Grüne) und Susanne Steffgen (Die Linke); Landtagsmitglied Volker Meyer vertrat die europapolitischen Positionen der CDU. Sie alle waren sich trotz unterschiedlicher Meinung in Detailfragen darin einig, dass einheitliche Sozialstandards eine gute Sache für Europa wären. Aber an der Europa-Begeisterung des EU-Parlaments hat es ja noch nie gemangelt. Aber die Abgeordneten müssten die Parteien und Regierungen in ihren Heimatländern davon überzeugen, denn wie konstatierte Gesine Schwan: Es gibt kein Europa, das den Mitgliedsstaaten irgendetwas aufzwingt. Da geht gar nichts ohne die Zustimmung der Regierungschefs.“