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Aus dem Jahr 2011

Angst vor einem Mangel an Freiwilligen

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 Von Matthias Rohde

Er ist der letzte seiner Art bei den Hamelner Paritäten und einer der letzten in ganz Deutschland. In rund einem Monat endet für Thorsten Mittmann der sechsmonatige Zivildienst, den er bei den Hamelner Paritäten geleistet hat. „Ich habe ganz unterschiedliche Aufgaben wahrgenommen, zum Beispiel war ich als Fahrer eingesetzt um Mahlzeiten auszufahren, habe darüber hinaus auch in der Verwaltung gearbeitet.“ Auch die Fahrzeugpflege gehört zu seinen Aufgaben. Zwar sei das nun nicht gerade seine Lieblingstätigkeit, wie er mit einem Lächeln zugibt, aber solche Jobs gehörten eben auch dazu.

Dabei, so Mittmann weiter, hätte er bereits als einer der letzten in Deutschland den Zivildienst gar nicht mehr antreten müssen, hat sich aber dennoch dafür entschieden: „Naja, ich habe diese Entscheidung davon abhängig gemacht, ob meine Bewerbung bei den Paritäten von Erfolg gekrönt wird. Woanders hätte ich nicht mehr angefangen.“ Sein Chef, der Leiter der mobilen Dienste bei den Paritäten, Uwe Broszeit, blickt mit gewisser Sorge in die Zukunft: „Früher hatten wir bis zu sieben Zivis bei uns beschäftigt. Diese Zahl haben wir aber in Kenntnis der Pläne, den Wehrdienst ganz abzuschaffen, schon vor Jahren zu reduzieren begonnen.“ Noch wisse keiner, welchen Erfolg der BFD habe, zu befürchten sei allerdings, so Broszeit, dass man die bisher im voraus planbaren 90000 „Freiwilligen“ wohl kaum über den BFD rekrutieren könne.

Norbert Raabe, Geschäftsführer der Paritäten, ist ebenfalls skeptisch, und das aus mehreren Gründen: „Wir haben uns bereits 2009 gedanklich und auch ganz praktisch auf die nun eingetretene Situation eingestellt, haben zum Beispiel junge Menschen, die sich im Rahmen des FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) engagieren wollen, in die Aufgabenbereiche der vormals ausschließlich von Zivis besetzten Bereiche eingebunden.“ Doch allein mit FSJlern, die auch in anderen Abteilungen der Paritäten und sämtlicher Wohlfahrtsverbände und Organisationen in ganz Deutschland dringend gebraucht werden, sei die große Lücke nicht zu schließen.

André von Zobeltitz, Betreuer der FSJler des DRK-Rettungsdienstes, stellt klar, dass er gemeinsam mit Benjamin Kilian schon frühzeitig die Strukturen innerhalb seines Zuständigkeitsbereiches den sich ändernden Vorgaben angepasst habe. Zwischen zehn und zwölf Freiwillige werden pro Jahr beim DRK-Rettungsdienst benötigt. „Bis Ende 2010 haben wir diese Stellen jeweils zur Hälfte mit Zivis und FSJlern besetzt, haben dann aber komplett auf das FSJ umgestellt.“ Da die Vorbereitungszeit für eine Mitarbeit im DRK-Rettungsdienst einige Wochen in Anspruch nehme, die Einstellungstermine zum 1. September beziehungsweise 1. Oktober einen Vorlauf benötigen, habe man sich beim DRK-Rettungsdienst dafür entschieden, in diesem Jahr nicht auf Freiwillige des BFD zu setzen, sondern stattdessen die fehlenden Zivis komplett durch FSJler ersetzt. „In diesem Jahr haben wir sogar deutlich mehr Bewerber als in den letzten Jahren verzeichnet und sogar mehr, als verfügbare Plätze vorhanden waren.“

In der bereits seit langer Zeit gut funktionierenden Schulassistenz der Paritäten, die die Betreuung von behinderten Kindern beim Besuch von Regelschulen sicherstellt, gehörten vor einigen Jahren noch rund zehn Zivis zum festen Personal, wie die Assistentin der Abteilungsleitung, Gesa Lüdeke erklärt: „Diese bis dahin fest einkalkulierten Zivis müssen wir nun durch andere Freiwillige ersetzen.“ Mehr als 30 FSJler und zehn Praktikanten werden in der Schulassistenz eingesetzt, und ob der Wegfall des Zivildiensts durch den BFD kompensiert werden könne, sei im Augenblick sehr fraglich. „Aus meiner Sicht wurde im Vorfeld viel zu wenig Reklame für den BFD und das freiwillige Engagement insgesamt gemacht,“ stellt Broszeit fest. Und von Zobeltitz fügt an: „Die Informationen rund um den BFD sind nur sehr langsam zu uns durchgedrungen.“ Zudem, so von Zobeltitz, seien die Ausgestaltung des BFD und einige rechtliche Zusammenhänge noch nicht abschließend geklärt. Im nächsten Jahr jedoch, so von Zobeltitz weiter, wolle man das benötigte Personal auch verstärkt über den BFD rekrutieren.

Zivi Thorsten Mittmann gibt zu bedenken, dass durch den doppelten Abiturjahrgang zwar einige junge Menschen zusätzlich für das FSJ zu gewinnen seien, auf der anderen Seite aber auch die Studienplatzvergabe abgewartet werden müsse. Mitte Juli, so der Zivi weiter, sei durchaus mit einer Anmeldewelle zu rechnen, denn: „Die allerwenigsten Abiturienten wollen ein Jahr verschenken und bewerben sich deswegen für den Fall, dass sie keinen Studienplatz bekommen, erst später als Freiwillige.“

 

 

 

Doch selbst wenn es zu einer solchen Anmeldewelle kommen sollte, stellt Raabe infrage, ob das BFD-Konzept ausreichende Kompensation zum Zivildienst darstellen könne: „Finanziert werden über den BFD 35000 Stellen. Das allein sind ja schon nur ein Drittel der bisher fest eingeplanten 90000 Zivis.“ Aber auch einige andere signifikante Unterschiede gegenüber dem Zivildienst kennzeichneten den BFD. So gibt es zum Beispiel kein Höchstalter für Menschen, die sich beim BFD bewerben möchten. Die Altersgrenze beim FSJ liegt demgegenüber bei 27 Jahren. Während Zivis und FSJler immer in Vollzeit tätig sind, ist es Freiwilligen über den BFD auch möglich, für nur 20 Stunden pro Woche tätig zu sein. Dennoch haben trotz Wegfalls der Altersgrenze laut einer aktuellen dpa-Umfrage bisher nur 1000 Freiwillige bundesweit eine feste Zusage erteilt.

 

Wie schon beim Zivildienst gibt es auch beim BFD das wichtige Gebot der Arbeitsmarktneutralität. Raabe: „Die Tätigkeiten, die Freiwillige leisten, dürfen keinen regulären Arbeitsplatz ersetzen. Gerade deswegen besteht die Gefahr, dass die Leidtragenden des Freiwilligenengpasses die Senioren, Behinderte und Kinder sein könnten.“ Freiwillige leisteten zusätzliche Arbeit, wie beispielsweise Spaziergänge, Gespräche, Fahrdienste und dergleichen mehr. Diese „humanitären Extras“ seien in Gefahr, wie viele Fachleute mahnend betonen. In den vergangenen Jahren haben die meisten Wohlfahrtsverbände immer mehr FSJ-Bewerber verzeichnet als verfügbare Plätze vorhanden waren. Ob sich dieser Überhang in diesem Jahr erneut einstelle, und ob er reiche, um den Bedarf zu decken, stünde dem Vernehmen nach derzeit noch in den Sternen.

 

Ganz andere Töne schlagen die Experten an, die zum Beispiel, wie der nordrhein-westfälische Sozialminister Guntram Schneider (SPD), ein soziales oder ökologisches Pflichtjahr für alle Schulabgänger fordern. Unterstützung erhalten die Befürworter kurioserweise aus den Reihen der jungen Menschen selbst, denn mehr als die Hälfte der über 1000 Befragten einer Forsa-Umfrage gaben an, dass sie ein solches Pflichtjahr begrüßen würden.

 

Der zu erwartende Mangel an Freiwilligen werde in naher Zukunft auch zu einem Wettbewerb um die Bewerber führen, meint Raabe. Eine durchaus gewünschte Konkurrenz, wie der Geschäftsführer meint: „Das Image des Zivildienstes war jahrelang supergut und ist es bis heute.“ Gerade aber dem Ehrenamt und freiwilligem Engagement wird in den nächsten Jahren eine zunehmende Bedeutung in der Gesellschaft zukommen.

 

Zivi Mittmann, der im Sommer aller Voraussicht nach sein Studium an einer Fachhochschule aufnehmen wird, ist sich indes sicher, dass viele junge Menschen das freiwillige Engagement auch für ihre persönlichen beruflichen Ziele nutzen: „Es ist so, dass sich beispielsweise ein absolviertes FSJ bei einer Studienplatzbewerbung durchaus positiv auswirken kann.“

 

Raabe, der darauf hinweist, dass man sich bereits frühzeitig auf den nun eintretenden Ernstfall bei den Wohlfahrtsverbänden eingestellt hat, stellt klar, dass man bereits einige vormals von Zivildienstleistenden besetzte Stellen in feste Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt und dort neue Mitarbeiter eingestellt hat. „Für uns ruht der Fokus in erster Linie auf den Bedürfnissen der Menschen, die von den Zusatzleistungen der Zivis profitiert haben. In einigen hochsensiblen Tätigkeitsfeldern unserer Organisation müssen wir die verlässliche Arbeit der Zivis ersetzen und zwar kontinuierlich, Tag für Tag.“ Allein die Hoffnung auf eine nächste Anmeldewelle, beispielsweise nach der diesjährigen Studienplatzvergabe, reiche nicht aus, um die betreuten Menschen zu versorgen.

 

Das aber genau ist das erklärte Ziel aller Wohlfahrtsverbände. Laut Aussagen der heimischen Experten, ist die Nachfrage hinsichtlich des BFD sehr gering. Dem Vernehmen nach sei sie sogar noch gar nicht vorhanden und würde erst in den nächsten Monaten verstärkt einsetzen.

 

Mit dem gestrigen Ende des Wehrdienstes ist auch der Zivildienst abgeschafft. Bis 2010 leisteten jährlich bundesweit rund 90000 Männer Zivildienst, vornehmlich in sozialen Bereichen. Heute startet der Bundesfreiwilligendienst (BFD), der für Nachschub sorgen soll.

 

(Artikel aus der Dewezet vom 01.07.2011 Seite 16)