Erziehungshilfe

Fachtag „Leaving Care: Übergänge gestalten - gut begleitet ins Erwachsenenleben“ am 12.06.2019

Careleaver: Junge Erwachsene aus dem Jugendhilfesystem brauchen mehr Unterstützung

Die Gesellschaft darf junge Erwachsene nicht allein lassen – das ist die zentrale Botschaft des Fachtags „Leaving Care: Übergange gestalten – gut begleitet ins Erwachsenenleben“, den der Paritätische Wohlfahrtsverband Niedersachsen e.V. jetzt in Hannover ausgerichtet hat. „Junge Menschen, die in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder in Pflegefamilien groß werden, müssen viel schneller selbstständig und erwachsen werden als andere“, sagte Birgit Eckhardt, Vorsitzende des Paritätischen. „Das Jugendhilfesystem muss so angepasst werden, dass sie in dieser Übergangsphase der Adoleszenz besser und länger begleitet werden können. Das schulden wir diesen jungen Menschen, die für ihre Situation nichts können.“

Eigentlich sieht das Kinder- und Jugendhilfegesetz Hilfen und Unterstützung regelhaft bis zum 21. Lebensjahr vor, in Ausnahmefällen auch länger. Probleme bereitet jedoch die praktische Umsetzung in einigen Jugendämtern. Die Jugendlichen müssen quasi von jetzt auf gleich auf eigenen Beinen stehen, wenn sie mit dem 18. Geburtstag formal volljährig werden, da darüber hinaus Hilfen häufig nicht mehr gewährt werden. „Aber mal ehrlich: Die wenigsten jungen Menschen kommen mit 18 allein klar“, sagte Birgit Eckhardt. „Die meisten haben Glück. Sie wachsen in mehr oder weniger stabilen Familienverhältnissen auf und haben feste Bezugspersonen, die ihnen zur Seite stehen. Jugendliche, die in Einrichtungen oder Pflegefamilien aufwachsen, haben ein solches Umfeld in den allerwenigsten Fällen.“

Viele Betreuungen enden mit dem Erreichen der Volljährigkeit, und das Ende der Betreuung ist dann endgültig, eine Rückkehr ins Jugendhilfesystem nicht möglich. Die Folge: Die jungen Erwachsenen haben tendenziell niedrigere Bildungsabschlüsse als ihre Altergenoss/-innen außerhalb des Hilfesystems; sie sind häufiger arbeitslos, häufiger verschuldet und werden häufiger straffällig. „Gerecht ist das nicht, und mit Sicherheit geht dabei auch viel Potenzial verloren“, sagte Birgit Eckhardt.

Einblicke in die Praxis ermöglichten die Fachvorträge von Dr. Severine Thomas von der Universität Hildesheim, Hannah Rörig von der Selbsthilfeorganisation Careleaver e.V. und Dr. Kristin Teuber vom Sozialpädagogischen Institut SPI SOS-Kinderdorf e.V. Sie alle machten deutlich, dass ein gelingender Übergang für Careleaver entscheidend für die gesellschaftliche Integration und die Stabilität des Lebenslaufs ist und erwähnten wichtige Voraussetzungen dafür: Benötigt werden vor allem verlässliche Ansprechpartner/-innen und Kontinuität in der Beziehung – hier seien die Einrichtungen ebenso wie die örtlichen Jugendämter gefragt, um für entsprechende  Strukturen vor Ort zu sorgen. Die jungen Menschen benötigen Möglichkeiten des Austauschs mit anderen und passgenaue Beratungsangebote. Nicht zuletzt ist mehr finanzielle Sicherheit ein großes Thema: Jugendliche und junge Erwachsene, die in der Jugendhilfe aufwachsen, haben keine Möglichkeit des Ansparens, da auf sie die strikten Regelungen der sogenannten Kostenheranziehung des SGB VIII Anwendung finden:
Diese jungen Menschen müssen sich zum Beispiel mit bis zu 75 % ihres Einkommens aus Ausbildung oder auch eines freiwilligen soziales Jahres an den Kosten der Jugendhilfe beteiligen. Auch müssen die bestehenden Rechtsansprüche der Careleaver aus dem SGB VIII besser durchgesetzt werden. Unabhängige Ombudsstellen können hierbei einen wichtigen Beitrag leisten.

„Wir müssen diesen Heranwachsenden Sicherheit geben und ihnen zugestehen, Erfahrungen zu sammeln“, sagte Birgit Eckhardt. „Und dazu gehört es, dass sie auch mal einen Fehler machen können.“ Das für junge Menschen aus „normalen“ Familien schließlich auch gegeben.

Anja Piel, Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen im niedersächsischen Landtag, besuchte den Fachtag ebenfalls. Sie versprach, sich für konkrete Verbesserungen bei der anstehenden nächsten SGB-VIII-Novelle einzusetzen. „Wir reden hier über eine wirklich überschaubare Zahl an jungen Menschen“, sagte sie. „Es ist mir völlig unverständlich, warum die Politik da nicht ein bisschen mehr Geld in die Hand nimmt. Prävention ist doch immer billiger, als wenn wir am Ende bei Problemen helfen müssen.“

Der Fachtag wurde erst möglich durch die Förderung durch die Glücksspirale.