Argumente statt Polemik: Lese-Omis sind kein Ersatz für pädagogische Fachkräfte in Kitas
In wenigen Wochen startet in Niedersachsen das neue Kita-Jahr. Vielerorts fehlt es trotz des immensen Ausbaus in den vergangenen Jahren an einer ausreichenden Anzahl von Betreuungsplätzen, ausreichend Personal und verlässlichen Strukturen für eine gute und qualitative Betreuung der Kinder. Die Corona-Pandemie hat gerade auch in den Krippen und Kitas für eine dauerhaft hohe Belastung gesorgt. Medial wird vor diesem Hintergrund durch wenige, aber dafür umso lautere Stimmen, die Absenkung von Qualitätsstandards in Kitas als Lösung vorgeschlagen. „Das ist der falsche Weg“, sagt Kerstin Tack, Vorsitzende des Paritätischen Niedersachsen.
„Es gibt keine einfachen Antworten auf den Fachkräftemangel“, sagt Tack weiter. „Klar ist aber: Standardabsenkungen beim Personal, also weniger Qualität in den Kita-Gruppen, gehen zu Lasten der Kinder und pädagogischer Fachkräfte. Damit gewinnen wir keine neuen Fachkräfte, sondern verlieren die verbleibenden. Das ist nicht die Lösung des Problems, sondern dessen Verschärfung“.
Insgesamt wirbt Kerstin Tack für eine Versachlichung der Debatte: „Wer Fachkräfte durch „Lese-Omis“ ersetzen will, nimmt den Kitas den Bildungsauftrag. Das ist inakzeptabel, solche Überlegungen sind wenig hilfreich. Stattdessen benötigen wir von allen Akteuren eine konzertierte Aktion zur Gewinnung von Fachkräften. Dazu gehören das Land Niedersachsen, die Fachschulen, die Wohlfahrtsverbände und andere freie Träger, Kommunen, Gewerkschaften und Hochschulen.“
Zum Hintergrund
Zur Polemik „überbordender Standards“
Die Fakten: Eine Erzieher*in und eine Zweitkraft sind aktuell in Kitas für 25 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren verantwortlich. Nach unserer Auffassung kann schon mit diesem Fachkraft-Kind-Schlüssel von 1:12,5 nicht sichergestellt werden, dass jedes Kindergartenkind die Aufmerksamkeit, Unterstützung und Förderung erhält, die es verdient. Von gleichberechtigten Bildungs- und Teilhabenchancen sind wir in der Kita also schon heute weit entfernt.
Zum Vorschlag einer dreijährigen duale vergüteten Ausbildung, um die Ausbildung attraktiver zu machen
Die Fakten: Nach wie vor ist die Erzieher*innenausbildung in Niedersachsen attraktiv. Der deutliche Ausbau von Schulplätzen in den vergangenen Jahren und die gute Nachfrage dieser Plätze zeigen deutlich, dass die Ausbildung an sich nicht das Problem ist. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern in Europa, neben Malta und Österreich, in denen diese Ausbildung nur Fachschulniveau erreicht. Das darf nicht noch unterboten werden. Für die Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern bedarf es Profis. Wir treten ebenfalls für eine vergütete Ausbildung ein, für mehr Ausbildungsplätze in Voll- und Teilzeit. Wir brauchen auch finanzierte Zeiten für Praxismentoring. Aktuell werden die Auszubildenden neben der Gruppenarbeitszeit begleitet.
Zum Vorschlag einer Absenkung der Qualitätsstandards für Zweit- oder Drittkräfte
Die Fakten: Ins Gespräch gebracht wird außerdem die Absenkung der Ausbildungsstandards für Zweit- und Drittkräfte. Statt einer zweiten Erzieherin oder einer Sozialassistent*in in der Gruppe, wie es aktuell gesetzlich geregelt ist, könne eine „Lese-Omi“ die wichtige Bildungsarbeit verantworten. Auch hier hilft eine Versachlichung der Debatte: Bereits heute können Sozialpädagogische Assistent*innen als Zweitkräfte eingesetzt werden. Dieser Abschluss kann nach maximal zwei Jahren – mit Vorbildung oder Abitur sogar nach einem Jahr – erworben werden. In den vergangenen Jahren sind viele zusätzliche Aufgaben und Verantwortlichkeiten an die Kitas herangetragen worden. Hierfür braucht es gut ausgebildetes Personal, welches diese hohen Anforderungen erfüllt. Gute (frühkindliche) Bildung braucht Qualität – diese Investition muss uns die Zukunft unserer Kinder wert sein.