Positionen und Engagement des Paritätischen
Agenda der deutschen Flüchtlingspolitik
Die deutlich gestiegenen Flüchtlingszahlen weltweit, in Europa und Deutschland, die Berichte und Bilder über die Schicksale der Flüchtlinge vor Ort oder auf der Flucht, aber auch konkret die großen Herausforderungen, die sich hier in Deutschland bei der Aufnahme der Flüchtlinge stellen – all dies führt dazu, dass dem Flüchtlingsthema innenpolitisch zentrale Bedeutung zukommt. Auch der Paritätische engagiert sich in vielfältiger Weise im Flüchtlingsbereich.
Wie positioniert sich der Verband zu Flüchtlingsfragen?
Der Paritätische hat in der jüngeren Vergangenheit verschiedene Stellungnahmen zur Asylthematik verabschiedet. Neben Stellungnahmen zu aktuellen Gesetzesvorhaben ist hier vor allem die grundlegende Stellungnahme zu den Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge (Dezember 2014), zur Situation/Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (April 2015) oder das Grundsatzpapier des paritätischen „Forums der Migrantinnen und Migranten“ zur Gestaltung der Flüchtlingspolitik in Deutschland zu nennen. In der aktuellen Diskussion bieten diese Stellungnahmen die Grundlage für asylpolitische Positionierungen des Verbandes. Angesichts der aktuellen Entwicklungen kann es aber nicht nur darum gehen, bestehende Positionen fortzuschreiben. Es ist vielmehr nötig, auch neue Akzente zu setzen bzw. Neupositionierungen bei offenen Fragen zu erarbeiten. Dabei lässt sich der Verband von folgenden Überlegungen leiten:
Für die unantastbare Wahrung der Menschenrechte
Kernstück aller Maßnahmen der bundes- sowie europaweiten Asyl- und Flüchtlingspolitik muss der Schutz von Flüchtlingen und die Wahrung ihrer verbrieften Menschenrechte sein.
Fluchtursachen bekämpfen
Flüchtlinge durch verschiedenste Maßnahmen von der Einreise nach Europa, nach Deutschland abschrecken oder abhalten zu wollen ist weder humanitär vertretbar noch zielführend. Zentrales Ziel der Flüchtlingspolitik muss die Bekämpfung der Fluchtursachen sein. Wichtig ist dabei vor allem eine wesentlich bessere Verzahnung zwischen den verschiedenen Politikfeldern bzw. Ministerien. Langfristige Entwicklungspolitik kann dazu beitragen Krisen- und Konflikte zu verhindern oder abzumildern. Illusorisch ist jedoch die Annahme, dass Fluchtbewegungen aus den zahlreichen weltweiten Konfliktherden allein durch Flüchtlings- und Entwicklungspolitik verhindert oder gesteuert werden können. Während das Ziel „Bekämpfung von Fluchtursachen“ damit für die verschiedene Regionen der Welt derzeit allerdings realistischer Weise kaum kurzfristig umsetzbar sein wird, stellt sich die Situation für die Westbalkanstaaten teilweise anders dar. Aufgrund der geographischen Nähe und der politischen Verknüpfungen muss es der EU möglich sein, durch eine Ausweitung des politischen und finanziellen Engagements eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation und gravierende und nachhaltige Verbesserung der menschenrechtlichen Lage, insbesondere der von Diskriminierung betroffenen Roma erreichen. Dabei muss ein Hauptaugenmerk auf den Aufbau eines effizienten Justiz- sowie Verwaltungssystems sowie den Schutz zentraler Menschenrechte gelegt werden.
Weitere legale Einwanderungsmöglichkeiten schaffen
Gerade am Beispiel der Flüchtlinge aus dem Westbalkan zeigt sich, dass für einen Teil der Flüchtlinge die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit einer der entscheidenden Gründe ist, das Land zu verlassen. Um ihnen andere Möglichkeiten der Zuwanderung nach Deutschland als nur den Zugang über den Asylantrag zu ermöglichen, müssen legale Möglichkeiten der Einreise für Drittstaater zur Arbeitsaufnahme erweitert werden, ohne Lohndumping oder Arbeitsausbeutung damit zu befördern. (z.B. Saisonarbeitskräfte, zwischenstaatliche Vereinbarungen, Ausbildungsförderung). Ausgebaut werden sollten auch die Möglichkeiten eines „Spurwechsels“, der es Asylbewerbern während oder nach negativem Ausgang des Asylverfahrens unter bestimmten Bedingungen ermöglichen ein Aufenthaltsrecht zu bekommen, wenn sie hier einen Arbeitsplatz oder Ausbildungsplatz nachweisen können. Bei den Flüchtlingen aus dem Westbalkan, insbesondere den Roma sollte man zudem berücksichtigen, dass diese oftmals frühere Bezüge zu Deutschland haben. Viele Flüchtlinge aus dem Westbalkan sind nicht das erste Mal in Deutschland. Viele von ihnen sind sogar in Deutschland geboren oder hier zur Schule gegangen. Hieran anknüpfend sollten Möglichkeiten der Aufenthaltssicherung gefunden werden.
Keine Ausweitung von „Sicheren Herkunftsländern“
Im Kontext der aktuellen Debatte um die Bestimmung von Albanien, Montenegro und Kosovo als sichere Herkunftsstaaten muss in Erinnerung gerufen werden, dass das Bundesverfassungsgericht zwar bei der Wahl der Methoden und Verfahren zur Bestimmung eines Staates als sicheres Herkunftsland einen großen Spielraum gelassen hat, jedoch eine derartige Bestimmung nur auf Grundlage einer umfassenden verlässlichen Tatsachenfeststellung und mit großer Sorgfalt erfolgen muss. Bezweifelt werden kann, ob angesichts der massiven Diskriminierung von Minderheiten in den drei Ländern eine Bestimmung von Albanien, Montenegro und Kosovo als sichere Herkunftsstaaten zulässig ist. Die bisherigen Erfahrungen mit dem System der „Sicheren Herkunftsstaaten“ haben zudem gezeigt, dass dies weder zu einer Verkürzung der Verfahren noch zu einem Rückgang der Asylbewerberzahlen aus diesen Ländern geführt hat. Die Gefahr, dass die Entscheidungen dem Einzelfall nicht mehr gerecht werden steigt, wenn jeder Entscheidende beim BAMF davon ausgeht, dass diese Länder verfolgungssicher sind. Aus all den genannten Gründen ist eine Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer abzulehnen.
Unterstützung der Erstaufnahmestaaten in den Krisenregionen verstärken
Hauptaufnahmeländer der Flüchtlinge sind weltweit nach wie vor die unmittelbaren Nachbarstaaten. Im Nahen Osten etwa Jordanien, Libanon, Türkei. Die bisherigen Bemühungen der EU, diese Staaten bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu unterstützen sind unzureichend. Kooperationspartnerschaften zwischen der EU und Herkunfts- und Transitstaaten zielen weiterhin zu stark darauf ab, entwicklungspolitische Unterstützung an migrationspolitisches Wohlwollen – die Rückübernahme von Geflüchteten – zu knüpfen. Es muss gelingen, diese Staaten – die Aufnahmegesellschaft dort wie die dorthin Geflohenen – wesentlich besser zu unterstützen und ihnen eine Perspektive zu geben. Allerdings darf der Schutz von Flüchtlingen nicht alleine in die Transitstaaten verlagert werden – die Europäische Union muss sich ihrer Verantwortung für den Schutz der Flüchtlinge endlich stellen.
Legale Einwanderungsmöglichkeiten für Schutzbedürftige schaffen
Es ist unverantwortlich, dass auch diejenigen, die unzweifelhaft schutzbedürftig sind, sich auf einen gefahrvollen Weg nach Europa einlassen müssen, bei dem sie oft Leib und Leben riskieren. Um dies zu verhindern müssen andere, legale Möglichkeiten der Einreise für Schutzbedürftige ausgebaut oder neu geschaffen werden. Zu denken ist hier etwa an die Ausweitung von humanitären Aufnahmeprogrammen / Resettlementprogrammen, die Einführung von humanitären Visa oder die Ausweitung der Möglichkeiten, im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland zu kommen.
Flüchtlingsaufnahme in der EU solidarisch gestalten – Freizügigkeit für anerkannte Flüchtlinge
Die Dublin Verordnung, die regelt, welcher Staat für die Durchführung von Asylverfahren zuständig ist, ist gescheitert. Und das nicht erst jetzt. Denn sie beinhaltet kein System der solidarischen Verteilung der mit der Aufnahme der Flüchtlinge verbundenen Aufwendungen. Zudem setzt eine Verteilung der Flüchtlinge in Europa voraus, dass deren Anerkennungschancen in allen Ländern gleich sind. Davon kann aber keine Rede sein. Es sollte auf europäischer Ebene einerseits sichergestellt werden, dass sich alle Staaten angemessen an der Flüchtlingsaufnahme beteiligen. Andererseits ist aber auch klar, dass die Flüchtlinge nur in den Ländern bleiben, in denen sie tatsächlich sicher sind und für sich und ihre Familien eine Perspektive entwickeln können. Ein starres Quotensystem wird dem nicht gerecht. Vielmehr müssen die Belange der Flüchtlinge, ihre familiären, sozialen, kulturellen Bindungen vorrangig berücksichtigt werden. Statt Flüchtlinge umzuverteilen, sollte auf EU-Ebene Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden für die EU Staaten, die Flüchtlinge aufnehmen bzw. zum Aufbau von Aufnahmestrukturen. Nach der Anerkennung sollten sie innerhalb der EU Freizügigkeit genießen.