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Der Paritätische Niedersachsen zur Wahl von Olaf Lies zum neuen Ministerpräsidenten: Jetzt Weichen für sozialen Fortschritt stellen

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Der Paritätische Wohlfahrtsverband Niedersachsen e.V. gratuliert Olaf Lies herzlich zur Wahl zum neuen Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen. Lies übernimmt das Amt mitten in der laufenden Legislaturperiode – eine Übergangszeit, die der Verband als Chance begreift, um zentrale sozialpolitische Weichenstellungen neu zu justieren. „Für die verbleibenden knapp zweieinhalb Jahre hat der Paritätische Niedersachsen klare Erwartungen an die Landesregierung formuliert. In vielen Bereichen braucht es mehr Tempo, mehr Nachhaltigkeit und ein klares Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit“, so Kerstin Tack, Vorsitzende des Paritätischen Niedersachsen.

Inklusion und Eingliederungshilfe
Der Paritätische Niedersachsen begrüßt die vollständige Umsetzung der Schulgeldfreiheit für Heilerziehungspfleger*innen als wichtiges Signal gegen den Fachkräftemangel. Handlungsbedarf sieht der Paritätische jedoch in der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Niedersachsen. Für die zentrale Zielsetzung, Angebote stärker personenzentriert und damit an den Bedarfen der Menschen mit Behinderungen auszurichten, bedarf es weitergehender – auch finanzieller – Anstrengungen des Landes. Kritisch blickt der Paritätische auch auf den Prozess der Umwandlung von Tagesbildungsstätten zu staatlich anerkannten Schulen. Um die weitere Beschulung der Schüler*innen der aktuellen Tagesbildungsstätten lückenlos abzusichern, braucht es eine Übergangslösung oder einen Bestandsschutz für die aktuellen Mitarbeiter*innen sowie die Anerkennung des Anspruchs auf Finanzhilfe von Beginn an.

Migration und Integration
„Migrationsberatungsstellen sind häufig nur einjährig gefördert, was zu massiver Unsicherheit führt. Teilweise müssen sich engagierte Berater*innen arbeitssuchend melden, da die Finanzierung und die damit zusammenhängenden Vertragsverlängerungen unsicher sind. Diese massive Unsicherheit führt zum Teil zu einer Abwanderung von Fachkräften aus der Migrationsberatung. Der Paritätische fordert daher mehrjährige Förderzusagen und eine strukturelle Absicherung dieser wichtigen Arbeit“, sagt Tack. Die laut Koalitionsvertrag versprochene Schaffung eines Teilhabe- und Partizipationsgesetzes wurde bisher nicht umgesetzt. Der Paritätische unterstützt die Einführung eines solchen Gesetzes, um die bessere Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund zu gewährleisten (Interkulturelle Öffnung, Teilhabe in Gremien, kommunales Wahlrecht, Einbürgerungen etc.).

Jugend
Der Paritätische Niedersachsen fordert, dass die bereits fortgeschrittene Novelle des Jugendfördergesetzes zu Ende geführt wird, um zukünftig Handlungssicherheit für die Träger und Organisationen der Jugendarbeit in Niedersachsen zu gewährleisten. Besonders wichtig ist die Sicherung der finanziellen Strukturen unter Wahrung der Flexibilität und Eigenständigkeit der landesweiten Träger der Jugendarbeit. Junge Menschen sind Expert*innen in eigener Sache – deshalb muss die Landesregierung die Jugendbeteiligung als Pflichtaufgabe in das Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz aufnehmen und dadurch strukturell absichern – insbesondere auch unter Berücksichtigung junger Menschen nicht privilegierter Herkunft. Darüber hinaus muss das von der rot-grünen Regierung bereits im Koalitionsvertrag 2021 festgelegte Ziel, das Wahlalter bei Landtagswahlen auf 16 Jahre abzusenken, vor der nächsten Landtagswahl umgesetzt werden, um die demokratische Mitbestimmung Jugendlicher zu sichern.

Bildung
Im Koalitionsvertrag findet sich die Formulierung „Die Finanzierung von Bildung hat für uns Priorität.“ Da die Aufwendungen und Anforderungen für die Bildungspolitik in den vergangenen Jahren noch weiter gestiegen sind, muss die Landesregierung in der verbleibenden Zeit eine dauerhafte und substanziell bessere finanzielle Ausstattung und Investitionsprogramme für Bildung, sowohl für freie Bildungsträger als auch (freie) Schulen, sicherstellen.

Frühkindliche Bildung
Positiv bewertet der Verband die Fortsetzung des Programms Sprach-Kitas sowie den Einsatz des Landes für die Bundesfinanzierung. Viele im niedersächsischen Koalitionsvertrag verankerten Ansätze im Bereich Kindertagesbetreuung wurden nicht umgesetzt, darunter die zielgerichtete Anwerbung ausländischer Fachkräfte im Bereich der frühkindlichen Bildung und die Umwandlung von Ganztags-Kitas. Das Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, Fachkräfte von Verwaltungstätigkeiten in den Einrichtungen zu entlasten und die Angebote der Fachberatung auszubauen, wurde bislang nicht eingelöst. Es fehlt zudem eine klare Strategie zur Attraktivitätssteigerung der Erzieher*innen-Ausbildung. Der Paritätische fordert die Einführung der bezahlten, praxisintegrierten Ausbildung (PiA) in Niedersachsen.

Sucht
Der Paritätische Niedersachsen fordert eine verstetigte finanzielle Absicherung des gesamten Beratungsnetzes und eine dynamisierte und verbindliche Förderstruktur. „Wir sind dankbar für die zusätzlichen Mittel, die für 2025 über die sog. Politische Liste für die ambulante Suchthilfe bereitgestellt wurden. Dennoch brauchen wir endlich eine dauerhafte und abgesicherte Finanzierung“, so Tack. Ebenso fehlt es an einer Verordnung, die „Drug-Checking“ – die Analyse illegaler Substanzen auf gefährliche Beimischungen – ermöglicht.

Schutz vor Gewalt und Missbrauch 
Die Umsetzung der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt bleibt lückenhaft. Es braucht einen Ausbau des Gewalthilfesystems, bei dem mit Blick auf die Verzahnung zwischen Gewalthilfegesetz und dem Kinderschutzgesetz des Landes die Finanzierung und Ausstattung eines bedarfsgerechten Angebots bei betroffenen Kindern klar geregelt sein müssen. „Das Kinderschutzgesetz des Landes muss noch unbedingt in dieser Legislatur auf den Weg gebracht werden. Bereits im Oktober 2020 hat eine vom Land eingesetzte Enquetekommission zur Verbesserung des Kinderschutzes und zur Verhinderung von Missbrauch und sexueller Gewalt an Kindern ihre Arbeit aufgenommen und im September 2022 ihren Abschlussbericht vorgelegt. Da braucht es jetzt zügig die Umsetzung“, fordert Tack. Auch die Finanzierung der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen ist weiterhin unzureichend, ergänzt Tack: „Das finanzielle Delta der Einrichtungen hat sich aufgrund einer höheren Eingruppierung der Berater*innen sogar verschlechtert. Hier muss dringend nachjustiert werden.“  

Pflege
Angesichts des eklatanten Fachkräftemangels in der Pflege fordert der Paritätische schnelle und pragmatische Lösungen: Dazu zählen unter anderem beschleunigte Anerkennungsverfahren ausländischer Pflegekräfte und die zügige Einführung der automatischen Anerkennung als Pflegeassistenzkraft nach bestandener Zwischenprüfung der generalistischen Pflegeausbildung. Zugleich soll sich Niedersachsen im Bund für eine solidarische Pflegevollversicherung einsetzen, die alle pflegebedingten Kosten übernimmt und sich in der Bund-Länder-Kommission zur Pflegereform für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Pflegeeinrichtungen einsetzen. Der gezielte Ausbau digitaler Lösungen in der Pflege (z. B. KI, Robotik) muss ebenfalls forciert werden.

Wohnen
Mit nur noch rund 50.000 neuen Sozialwohnungen Mitte 2024 hat sich die Zahl seit 2016 (landesweit noch 85.000 neue Wohnungen) nahezu halbiert. Nach Einschätzungen des Bündnisses Soziales Wohnen bräuchte es allerdings viel mehr, denn bereits 2022 fehlten 100.000 Sozialwohnungen im Land. „Es braucht dringend eine Erhöhung der Mittel der Landeswohngesellschaft, um die gesteckten Neubauziele zu erreichen“, so Tack. „Laut einer jüngeren Studie des Paritätischen geraten von Armut betroffene Menschen durch die steigenden Mietpreise besonders unter Druck. Bereinigt man die niedersächsische Armutsquote von 14,8 % von den Wohnkosten, ergibt sich eine wohnkostenbereinigte Armutsquote in Niedersachsen von 21,8 % – das entspricht rund 534.000 zusätzlich armutsgefährdeten Menschen aufgrund zu hoher Mieten.“

Aufbruch jetzt gestalten
„Olaf Lies übernimmt das Amt in bewegten Zeiten. Die verbleibenden Jahre bis zur nächsten Landtagswahl bieten die Chance, mutige soziale Reformen anzustoßen und bestehende Versäumnisse zu korrigieren“, sagt Tack. Der Paritätische Niedersachsen steht bereit, diesen Weg  konstruktiv mit seiner Expertise zu begleiten.